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Gesundheit in Gefahr

Martin Ruetschi

Neue Arbeitsformen werfen neue Fragen auf, was die Arbeitsbedingungen angeht. Isabelle Hansez und François Pichault von der Universität Lüttich in Belgien untersuchen die Gesundheitsrisiken für Arbeitnehmende in Callcentern, besonders wenn externe Auftraggeber im Spiel sind, und sie diskutieren Vorbeugungsmassnahmen.

 

Der erste schweizerische Kongress «Gesundheit in der Arbeitswelt» wurde 2004 durchgeführt. Seither findet er alle zwei Jahre mit dem Ziel statt, die Gesundheit bei der Arbeit als festen Bereich des Gesundheitswesens zu etablieren. Dieses Ziel liegt allerdings noch in weiter Ferne.

 

Hauptthema bei der fünften Auflage des Kongresses in der Management-Hochschule Arc in Neuenburg waren die neuen Arbeitsnormen, die in den letzten Jahrzehnten eingeführt wurden, und ihre Auswirkungen auf die Beschäftigten. Die Anforderungen haben sich in der Tat verändert. Eine Anstellung bedeutet für die Menschen heute ein umfassendes persönliches Engagement und volle Konzentration, hohe zwischenmenschliche Intelligenz sowie eine gut entwickelte Fähigkeit, initiativ zu sein. Dies alles, ohne dafür mehr Anerkennung zu bekommen. Wie erleben nun die Arbeitnehmenden dieses Ungleichgewicht zwischen dem intensiven persönlichen Engagement und der fehlenden Wertschätzung der geleisteten Arbeit?

 

Mit solchen Fragen beschäftigen sich Isabelle Hansez und François Pichault, Lehrbeauftragte respektive Professor an der Universität Lüttich. Ihr Thema: «Aktuelle Paradoxe in der Arbeitsorganisation: Ein Blick auf das Wohlbefinden in Callcentern». Sie beleuchten das Thema aus organisationstheoretischer wie auch aus arbeitspsychologischer Sicht.

 

Psychosoziale Risiken

 

Hansez und Pichault haben sich auf Callcenter konzentriert, weil diese Unternehmen typisch für neue Formen der Arbeitsorganisation sind. Was versteht man nun unter «neue Arbeitsformen»? Vor 30 Jahren wurde die Arbeitsorganisation in autonomen Teams zur Regel, parallel zum Just-in-time. Von den Angestellten wurde zunehmend Autonomie und Flexibilität verlangt, und sie hatten immer mehr Verantwortung zu übernehmen. Die organisatorischen Abgrenzungen im Betrieb verschwanden, während die Auftraggeber eine immer wichtigere Rolle in den Unternehmen erlangten. Gemäss der Studie von Hansez und Pichault haben die unternehmensexternen Akteure, das heisst die Geschäftspartner, einen direkten Einfluss auf die Arbeitsbedingungen der Belegschaft, ohne dass ein Lohnverhältnis mit ihnen besteht. Sie haben somit nicht das gleiche Interesse an guten Arbeitsbedingungen wie der juristische Arbeitgeber; für sie steht die hohe Rentabilität im Vordergrund. Dieses Schema ist in den externen Callcentern, wie sie zum Beispiel von Meinungsforschungsinstituten benutzt werden, immer wieder zu finden. Diese Callcenter führen im Auftrag verschiedener Unternehmen Unteraufträge aus, im Gegensatz zu den internen Callcentern, wie sie bei Unternehmen wie Swisscom geführt werden, die einen eigenen Auskunftsdienst betreiben.

 

Die Bedeutung der Auftraggeber im Unternehmen darf nicht unterschätzt werden. Sie könnte mit verantwortlich sein für Erkrankungen am Arbeitsplatz. Dazu Hansez und Pichault: «Es konnte gezeigt werden, dass der Stressgrad in externen Callcentern höher ist als in internen. Die Angestellten befinden sich nicht mehr in einer traditionellen Hierarchie, sondern in einer Art von ‹Heterarchie›, wo der Chef nicht klar definiert ist zwischen dem juristischen Arbeitgeber und dem Auftraggeber, der oft selbst am Arbeitsplatz anwesend ist.»

 

Bei solchen Bedingungen sprechen Hansez und Pichault von «psychosozialen Risiken» wie Kopfweh, Schlafstörungen, Depressionen und Motivationsdefiziten bis zum Burn-out. Auf Teamebene kann es zu gestörten Beziehungen und zu Konflikten kommen. Um diesen Risiken vorzubeugen, schlagen Managementpsychologinnen und -psychologen das «Job Demands-Resources»-Modell vor; hier wird ein Gleichgewicht angestrebt zwischen den zwingenden Arbeitsvorgaben wie Leistungskontrolle oder schwierige Kundenbeziehungen einerseits und Motivationsfaktoren wie Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung oder ein Leistungs-Feedback andererseits. Daraus leitet sich auch die Strategie gewisser Unternehmen ab, ihre Angestellten in die Beziehung zu den Kundinnen und Kunden affektiv einzubinden, zum Beispiel bei persönlichen Begegnungen oder Anlässen oder durch die Förderung einer starken Identifikation der Arbeitnehmenden mit dem Auftraggeber, um ein Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln.

 

Die Arbeitsbedingungen - dauerhaft verbessern

 

Aber solche Strategien reichen nicht aus, um die Arbeitsbedingungen in den Callcentern zu verbessern. Hansez und Pichault zeigen verschiedene Denkansätze für eine dauerhafte Verbesserung auf. So sei es zum Beispiel absolut zentral, die Einmischung des Auftraggebers zu unterbinden, indem seine Forderungen immer über die unternehmensinterne Hierarchie laufen müssten. Auch müsse es Teamsitzungen geben, bei denen widersprüchliche Anforderungen diskutiert würden. Daneben unterstreicht ihre Studie die Bedeutung einer «Drittinstanz», einer Art von Kontrollorgan; das könnte zum Beispiel eine öffentlichen Stelle, ein Forschungszentrum oder eine Beratungsfirma sein.

Sicher ist jedenfalls, dass neue Schutzmassnahmen ergriffen werden müssen, damit es nicht zu einer «Häufung von Management-Gebastel» kommt, vor allem, wenn sich das Unternehmen gemäss der Logik der geringsten Kosten entwickelt.

 

Solenn Ochsner, Journalistin Freelance

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