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Callcenter: Aufbruch oder Sackgasse

In den Callcentern der Schweiz steigen die Anforderungen an die Mitarbeitenden – sowohl in technischer Hinsicht als auch in Psychologie und Gesprächsführung. Gleichzeitig bietet die Branche wenig Attraktives. Eine aktuelle Studie bringt Analysen und Lösungsansätze. 


Die wichtigsten Trends: Gut und nachhaltig


Die Basler Studie gibt detailliert Auskunft über die Arbeitsorganisation und die Gestaltungsmöglichkeiten des Personals in den zwölf untersuchten Betrieben. Zusammenfassend werden in der Callcenter-Branche folgende fünf Trends festgestellt:

Wenig anspruchsvolle Callcenter-Aufgaben werden zunehmend automatisiert oder ins Ausland vergeben. Es gibt immer weniger Arbeitsplätze für niedrigqualifizierte Arbeitskräfte.

Kommentar aus dem Management: «Wenn ein Mitarbeiter ein paar Wochen in den Ferien war, ist er einen Tag lang nur beschäftigt mit Einlesen von neuen Prozessen, Produktänderungen, Planänderungen, das ist extrem.»


Die Produktionsform der Callcenter entwickelt sich von einer extrem arbeitsteiligen Arbeitsweise hin zu prozessorientierten Arbeitsformen. Die prozessorientierte Arbeitsform stellt höhere Kompetenzanforderungen an die Agentinnen und Agenten und erweitert das Arbeitsspektrum.

Management-Kommentar: «Fremdsprachen sind gefragt und die Fähigkeit, nicht nur zu telefonieren, sondern auch zu erfassen. Die schriftliche Arbeit, z. B. einen Vertrag aufzusetzen, eine Reklamation aufzunehmen, das braucht andere und zusätzliche Skills.»

Die soziale Interaktion im Kundenkontakt rückt immer stärker in den Fokus. Kommunikative Fähigkeiten der Agentinnen und Agenten werden immer wichtiger. In der Gesprächsführung genauso wie im schriftlichen Ausdruck.

Kommentar eines Experten: «Sie müssen als Agent oder Agentin den Kunden zu verstehen geben, dass Sie diese ernst nehmen, dass Sie das Problem ernst nehmen und dass Sie alles versuchen, um das Problem zu lösen. Sie müssen eigentlich den Dialog steuern, ohne dass der Kunde dies bemerkt.»

Um im globalen Konkurrenzkampf bestehen zu können, müssen sich die Callcenter in der Schweiz vermehrt auf qualitativ hochwertige und kostenintensive Dienstleistungsangebote fokussieren. Der Kundenkontakt muss immer professioneller erfolgen. Der Kundendialog und somit die Arbeit im Callcenter entwickelt sich immer mehr zu einer wichtigen Kompetenz eines Unternehmens, die auch nicht so einfach ins Ausland ausgelagert werden kann.

Management-Kommentar: «Für uns hat der Standort Schweiz heute die höchste Bedeutung überhaupt. Die Phase der Offshore-Bewegungen ist vorbei. Der Rückwärtstrend zurück in die Schweiz, weniger Calls, dafür qualitativ hochwertige – das ist Fakt.»

Die Zahl der Kommunikationskanäle, die Agentinnen und Agenten im Kundenkontakt beherrschen müssen, nimmt stetig zu: von Telefon über Chat bis zu sozialen Medien.

Mitarbeitenden-Kommentar: «Es geht neu mehr in Richtung ‹digitale Begleitung›, also ich bin nicht nur Supporter, sondern Begleiter.»

In Bezug auf die Arbeitsgestaltung lässt sich feststellen: Es sind mehrere parallel verlaufende Entwicklungen gleichzeitig, die den Strukturwandel von einer Branche mit eher niedrigen Qualifikationsanforderungen hin zu einer Branche mit hohen Anforderungen vorantreiben – und somit intensivieren.

Die grossen Probleme der Branche: Wandel und Starrsinn

Struktur verändert sich schneller als Kultur, lautet eine arbeitssoziologische Theorie zum sozialen Wandel. So ist es nicht verwunderlich, dass die Erneuerung der Arbeitskultur in den meisten Callcentern mit dem Strukturwandel nicht Schritt zu halten vermag.

Wie stark aber die beiden Dimensionen Struktur und Kultur auseinanderdriften, muss zu denken geben, allen voran den Unternehmen selbst. Aus Sicht der Arbeitnehmenden weiten sich die folgenden Problemfelder immer mehr aus:

Die Berufsbildung «Fachfrau/Fachmann Kundendialog» trägt bisher wenig zur Aufwertung der Branche bei. Sie gilt im Vergleich zu einer kaufmännischen Lehre als minderwertig und wird von den Absolvierenden vermehrt als Sackgasse wahrgenommen.

Kommentar eines Angestellten: «Du fragst dich einfach, ob du wirklich Chancen hast, dich darauf weiterzuentwickeln. Es ist eher begrenzt. Ich glaube, ich würde eher ein KV machen.»

Weiterbildungsangebote erfolgen fast ausschliesslich in den operativen Abteilungen und sind gebunden an produktspezifische Inhalte. Wechseln die Produkte, verfällt der Wert dieser Weiterbildungen für die Karriere der Beschäftigten.

Kommentar einer Angestellten: «‹Fortbildung› ist wohl ein wenig hochgegriffen. Aber es gibt immer wieder Software-Releases, Prozessanpassungen. Das gibt es insgesamt viermal im Jahr.»


Die Aufstiegsmöglichkeiten sind durch den flaschenhalsförmigen Übergang zum unteren Management begrenzt.

Kommentar aus dem Management: «Es ist sicher nicht ganz einfach, aus dem Customer Care hinaus in andere Abteilungen zu kommen. Es bleiben Einzelfälle. Beispielsweise als Assistentinnen im HR-Bereich nehmen wir sehr gerne Callcenter-Agentinnen in Form von Stages.»

Die Mitarbeitenden sind kontinuierlichen Rationalisierungsprozessen unterworfen. Stets droht Automatisierung oder Auslagerung von Arbeitsprozessen, was zu immer höheren Belastungen führt. Das Arbeitsvolumen pro Stunde nimmt stetig zu, somit die Arbeitsdichte. Reaktionszeiten werden kürzer, Kundengespräche immer mehr gestrafft. Optimierungs- und Standardisierungsprozesse beschleunigen den Arbeitsrhythmus.

Mitarbeitenden-Kommentar: «Jedes Projekt hat eine Zielvorgabe. Aber je nach Gerät und Kunde ist es nicht innerhalb der Frist lösbar. Man versucht, die Effizienz zu steigern, oder springt über den eigenen Schatten.»

Massenmedien berichten nur selten differenziert über die Callcenter-Branche. Der grosse Anteil der im Untersuchungszeitraum der Studie erschienen Presseartikel befasst sich mit negativen Aspekten der Branche.

Mitarbeitenden-Kommentar: «Es geht hier nicht wie auf der Galeere zu. Dieser Eindruck wird von den Medien halt schon oft vermittelt. Das ist vielleicht auch bis zu einem gewissen Grad eine Falschdarstellung.»


Zusammenfassend geht aus der Studie hervor: Das schlechte Image der Branche kommt nicht von ungefähr, sondern steht in engem Zusammenhang mit den tatsächlichen Arbeitssituationen und beruflichen Perspektiven in der Branche.

Aus gewerkschaftlicher Sicht: Fünf Lösungswege aus dem Dilemma

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Arbeitswelt der Callcenter-Branche ist der Handlungsbedarf gross. Aus Sicht der Gewerkschaft syndicom drängen sich besonders folgende Massnahmen auf, um das Dilemma zu lösen:

Im Herbst 2015 ist der zwischen syndicom und dem Arbeitgeberverband Contact­swiss ausgearbeitete Gesamtarbeitsvertrag in Kraft getreten – erstmals überhaupt für die Branche. Dieses Instrument gilt es nun zu nutzen, um die Arbeitsbedingungen weiterzuentwickeln, insbesondere was das Lohnniveau betrifft, und für Kompensationsleistungen zur zunehmenden Arbeitslast.

Nur ein Teil der Schweizer Callcenter sind bisher dem Gesamtarbeitsvertrag unterstellt. Contactswiss und syndicom streben an, beim Bundesrat möglichst rasch die Allgemeinverbindlichkeit zu erwirken, damit der Konkurrenzkampf in Zukunft nicht mehr über Personalkosten ausgetragen wird, sondern über die Dienstleistungsqualität. Nur so kann sich das Image der Branche verbessern.

Die neu eingeführte Ausbildung «Fachfrau/Fachmann Kundendialog» ist ein erster Schritt in Richtung Professionalisierung der Branche. Allerdings leidet der Lehrgang noch unter zahlreichen Kinderkrankheiten. Seinen Zweck, nachhaltig hochqualifizierte Arbeitskräfte für die Branche auszubilden, erfüllt er nur dann, wenn der Fokus erweitert wird – auf das möglichst effiziente und effektive Management von Kundenbeziehungen, die in Zukunft immer wichtiger werden.
 
Die Branche kann die Herausforderungen der Zukunft nur meistern, wenn sie den Mitarbeitenden das Recht auf Aus- und Weiterbildung zubilligt. Die Regelung im Rahmen des neuen Branchen-GAV geht in diese Richtung.

Neue Technologien stellen immer neue Herausforderungen an die Mitarbeitenden. Um den Wandel mit dem verfügbaren Personal bewältigen zu können, empfiehlt sich eine sozialpartnerschaftliche, vorausblickende Planung der Ressourcen. Ein Vorgehen, welches sich beispielsweise bei Swisscom bewährt hat.

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